Anja Zyska Cherix: Aus dem Blickwinkel der Assistenz- und Oberärzte erinnert mich dieses Zitat an die Schwierigkeiten bei der Durchsetzung des Arbeitsgesetzes in den Spitälern.
Bislang finden die Überlegungen oft nur «outside the box» statt. Sprich: Wie viele Ärzte und Ärztinnen braucht es, um die Arbeit innerhalb der verfügbaren Zeit zu leisten? Wie viele Stunden gilt es pro Woche oder Monat einzuplanen?
Dabei sollte man auch dem Inhalt der Box Beachtung schenken. Sprich: Was macht der Arzt an seinem Arbeitstag oder in seiner Arbeitswoche? Und welche Aufgaben fallen ihm genau zu?
Schliesslich sollte man – um die Box besser zu befestigen – darüber nachdenken, welche Tätigkeiten eigentlich integraler Bestandteil der ärztlichen Arbeit sind.
Und zwar im Kontext eines Klinikalltags und einer ärztlichen Tätigkeit, die sich in den letzten 20 Jahren erheblich weiterentwickelt haben. Es bedarf einer Unterscheidung zwischen rein medizinischen Aufgaben, die auch solche bleiben sollen, und Aufgaben, die beispielsweise an Pflegepersonal oder medizinische Praxis- bzw. Stationsassistentinnen delegiert werden können.
Ich bin überzeugt, dass eine bessere Rollendefinition der einzelnen Akteure hilfreich wäre, um der Überlastung der Ärztinnen und Ärzte entgegenzuwirken.
2. Wie müssten die Organisationsstrukturen ausgestaltet sein, damit das Schweizer Gesundheitswesen optimal im Wettbewerb aufgestellt ist?
Anja Zyska Cherix: Bei Reflexionen über die Optimierung oder gar Rationalisierung des Gesundheitssystems darf man nicht vergessen, dass es hier im Unterschied zu anderen Branchen um kranke Menschen geht, um Patientinnen und Patienten, bei denen man nicht den gleichen Massstab anlegen kann wie beispielsweise bei Handelsware.
Gleiches gilt auch für das Personal im Gesundheitswesen: Welches wäre das beste Preis-Leistungs-Verhältnis eines Arztes oder eines Spitals?
Ich bin der Ansicht, dass die Grundsätze der Behandlungsqualität und -optimierung in der Medizin wichtig sind und wirtschaftliche Aspekte durchaus berücksichtigt werden müssen. Aber bei der Debatte um die Konkurrenzfähigkeit des Gesundheitssystems gilt es immer im Hinterkopf zu behalten, dass es sich nicht um eine exakte Naturwissenschaft oder einen Handelssektor handelt und dass man Ärzten wie Patienten bei medizinischen Entscheidungen einen gewissen Handlungsspielraum lassen muss.
3. Wie wird sich der Arztberuf verändern? Und wie verändern sich die anderen Gesundheits- und Medizinalberufe?
Anja Zyska Cherix: Der Arztberuf hat sich immer schon mit der Weiterentwicklung der wissenschaftlichen Erkenntnisse gewandelt und wird es weiterhin tun. Anpassung und Weiterbildung sind somit Elemente, die auch nach dem Studium in Form von Fortbildungen dauerhaft Teil der ärztlichen Praxis bleiben.
Aber der Fortschritt betrifft auch die Verwaltung und den Betrieb: Durch die unvermeidliche Informatisierung, welche die Arbeit der Ärztinnen und Ärzte zunehmend prägt, verbringen diese heutzutage immer mehr Zeit vor dem Bildschirm.
Wie dem auch sei: Der Patient wird immer im Mittelpunkt des Arztberufes stehen. Erst durch den Kontakt und die Beziehung zwischen Patient und Arzt entsteht die Sinnhaftigkeit der Behandlung. Egal, welcher medizinischen oder politischen Entwicklung die ärztliche Tätigkeit auch unterworfen sein mag, daran gilt es sich zu erinnern.
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